Die „serielle Ästhetik“ in Derridas Texten zeigt, dass im Gegensatz zu den Postulaten ästhetischer Theorien seit Kant die Künste nicht einem Bereich eines desinteressierten Wissens zugeordnet werden können, der von den normativen und ethischen Postulaten des wissenschaftlichen Diskurses losgelöst ist.
In seinen Schriften zur Kunst und Literatur, deren quasiliterarischen Stilpluralismus er aus der Intertextualität der Lyrik Stéphane Mallarmés ableitet, entwickelt Jacques Derrida ein von der philosophischen Dekonstruktion zu unterscheidendes analytisches Verfahren.
Die „serielle Ästhetik“ bildet das praktische Instrumentarium für neue Synthesen der Kunstrezeption und -produktion und fordert eine Neueinschätzung traditioneller literatur- bzw. kunsttheoretischer Maximen. Der Kunsterfahrung wird ein Status zugewiesen, der sich nicht unter theoretische Begrifflichkeiten subsumieren lässt. Weder Ästhetik im traditionellen Sinn noch Anti-Ästhetik, stellt die „serielle Ästhetik“ jenseits normativ interpretativer Deutungsraster und begrifflicher Determinierung die Frage nach den Bezügen der ästhetischen Erfahrung zum Nicht-Ästhetischen im Allgemeinen, das heißt zu Politik, Philosophie oder Geschichte. Derridas Textpraxis führt zu einer Verlagerung der Betrachtung visueller Kunstwerke. Die Kategorie des individuellen Kunstwerkes wird nicht länger als Form einer selbstreflexiven Entität erfahrbar, sondern ist eingebunden in eine serielle Struktur.
Thomas Rösch, geboren 1957, studierte Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart, Kunstgeschichte und Linguistik an der Universität Stuttgart und lebt in Frankfurt am Main.