Der Krieg, mit dem Putins Russland unerbittlich die Ukraine überzieht, erschüttert Europa und die ganze Welt. Auch wenn die Ukraine immer wieder spektakuläre Siege erringen kann, scheint ein Ende dieses Krieges noch in weiter Ferne. Der französische Schriftsteller und Übersetzer André Markowicz, der selbst aus Russland stammt und einige der großen Werke der russischen Literatur ins Französische übertragen hat, legt in dieser Situation ein Buch vor, das bewegt, aber auch Hoffnung macht. Mit Blick auf die russische Geschichte und Literatur zeigt er, dass die Gewalt der Machthabenden gegen das eigene Volk und insbesondere gegen Intellektuelle in Russland eine lange und traurige Tradition hat. Mit seiner zweifelhalten Geschichtsauffassung knüpft Vladimir Putin heute explizit an diese Tradition an. Markowicz sieht jedoch die reale Möglichkeit, dass ein Sieg der Ukraine diese historische Linie unterbrechen und zu einer nachhaltigen Veränderung Russlands führen könnte.
Dass eine würdevolles menschliches Leben gewisse Minimalbedingungen erfordert, kann man heute sowohl an der Entschlossenheit der Frauen sehen, die im Iran furchtlos für ihre Rechte kämpfen, als auch am Mut jener Menschen, die ihr Leben riskieren, weil sie hoffen, in Europa ein besseres Leben führen zu können. Judith Butler diskutiert in ihrem neuen Buch Unmögliches Leben mit dem französischen Philosophen Frédéric Worms über die sozialen und psychischen Voraussetzungen eines würdevollen Lebens: Wann wird das Leben von Menschen, die aufgrund ihrer Identität oder ihrer materiellen Lebensgrundlagen gefährdet sind, unerträglich oder sogar schlichtweg unmöglich?
Aus einer anderen Perspektive nähert sich der französische Philosoph François Jullien der Frage nach dem Leben. Dass Selbstoptimierungsliteratur heute die Bestsellerlisten beherrscht, beweist, dass sich auch viele Menschen in privilegierteren Verhältnissen nach einem anderen Leben sehnen. Aber was macht ein wahres Leben eigentlich aus? Für Jullien geht es nicht um die Suche nach Reichtum, Erfolg oder dem vermeintlichen Glück, sondern vielmehr darum, das falsche Leben zu entlarven und die trügerischen Ideale zu durchschauen, die unseren Blick auf die wesentlichen Aspekte des Daseins verstellen.
Dass auch der westliche Weg kein Heilsmodell ist, wenn es um die Rechte und den Schutz von Frauen geht, zeigt Françoise Vergès in ihrem Buch Eine feministische Theorie der Gewalt. Auch wenn westliche Staaten sich auf die Fahnen schreiben, Frauen vor männlicher Gewalt zu schützen, tun sie dies meist durch eine Verschärfung strafrechtlicher Maßnahmen, die eindeutig rassistisch und klassistisch geprägt sind. Gleichzeitig profitieren diese Staaten selbst von der rassistischen Ausbeutung von Frauen im Niedriglohnsektor und schreiben so die Geschichte der patriarchalen Gewalt fort. Vergès schlägt als Alternative zu diesem Ansatz eine dekoloniale feministische Politik vor, die auf Solidarität setzt und sich dem staatlichen Sicherheitsparadigma widersetzt.
Radikale und innovative Vorschläge wie der von Françoise Vergès scheitern oft an der Realität der politischen Institutionen. In vielen westlichen Ländern ist die Linke tief gespalten und zerfasert sich in einer diffusen Protestkultur, der klare Zielsetzungen zu fehlen scheinen. Dass diese linken Proteste zudem wenig effizient sind, konstatiert Geoffroy de Lagasnerie in seinem Buch Der Ausweg aus unserer politischen Ohnmacht. Er fragt, warum linke Proteste meist auf Symbolwirkung setzen, aber selten zu wirklichen Veränderungen führen. Um dem Gefühl der Machtlosigkeit in der Linken entgegenzuwirken, skizziert Lagasnerie eine oppositionelle Praxis, die versucht, den Machtapparat des herrschenden Systems mit gezielten Aktionen effektiv und empfindlich zu stören. Damit linke Politik in unserer kapitalistischen Welt wieder zu einer prägenden gesellschaftlichen Kraft werden kann, braucht es klare Strategien und entschlossenes Handeln.
Neben diesen Neuerscheinungen haben wir auch einen Klassiker der Dekonstruktion in unserem diesjährigen Frühjahrsprogramm: Jacques Derridas Randgänge der Philosophie, die unter anderem seine zentralen Überlegungen zur différance enthalten, gehören zu den Grundlagentexten des Philosophen und sind nun endlich wieder in einer neuen Auflage erhältlich.
Last but not least erscheint auch Hélène Cixous’ Briefwechsel mit Cécile Wajsbrot in einer zweiten Auflage. In Eine deutsche Autobiographie sprechen die beiden Autorinnen über ihre Mehrsprachigkeit und denken mit den Stimmen ihrer Familien und der Literatur über die Einschreibung des Vergangenen in die Gegenwart nach.
Wir wünschen eine gute Lektüre,
Das Passagen Lektoratsteam