Hélène Cixous

Meine Homère ist tot…

Bis zum letzten Wort hat Eve die Odyssee ihres Sterbens schon in die drei Hefte diktiert, aus denen H. dieses Epos hier abschreibt. Unverhoffte Hilfe findet sie dabei in Eves eigenen Heften aus ihrer Ausbildungszeit als Hebamme: Geburt ohne Schmerzen.

Eve macht H. zur Mutter des 103 Jahre alten Kindes, das sie geworden ist. Nach dem entscheidenden Angriff der Armeen des Todes am 13. Januar ist medizinisch zum Leben nichts mehr da. Aber Eve ist das Leben selbst. Mit Hilfe der Hefte tastet sich das Buch durchs eisige Dunkel der geweiteten Zeit Zuspät, durch das blinde Jenseits der überzähligen Wochen, lange nachdem die letzte Stunde eigentlich geschlagen hat. Eve auf dem Rücken, in ihrer Barke für immer, erfindet für H. ein Sterben, das ein Bleiben ist. H. auf den Knien, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite des Pflegebetts, treidelt im Schlamm der Zeit ohne Datum. Jeden der zahllosen Tode hebt sie auf, jedes Gesicht und jeden der letzten Momente, den letzten Schluck Wasser, das letzte Wort, den letzten Kuss. Wie hätte sie heute zu sprechen vermocht, hätte sie nicht die Spalte von Mamans noch lauen Lippen mit ihren Lippen versiegelt, hätte sie nicht ihren Mund auf Eves Mund gelegt um leidenschaftlich seine neue Kälte zu kosten?

Details
Einband Pb
Umfang 208 Seiten
Format 14,0 x 23,5
Auflage1,
ISBN 978-3-7092-0324-8
Ersch.Datum April 2019
Übersetzt von Claudia Simma
25,60 
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Pressestimmen

  • „Im Gefolge ihrer Ilias-Lektüre wird die sorgsam gesponnene Zweisamkeit der Figuren in der Krise zum aufgeladenen Kriegsgebiet, Schlachtfeld und waste land – hier wird im „Geleit aus Ängsten“ „Wache gestanden“ in einer „verwüsteten Welt“, hier werden Mutter und Tochter zu Hektor und Priamos.
    Man kann das überdimensioniert finden – wenn es jedoch derart stilsicher mit der eigenen Stimme verwoben wird wie in diesem Fall, dann erscheint vor den Augen des Rezensenten ein großes Werk, das philosophische Existenzialreflexionen zum Tod in den Niederungen des Alltags kommentierend begleitet und dennoch nie lapidar wirkt.“

    Simon Scharf - literaturkritik.de, 03.05.2020