In eigener Sache

Ein Video im Internet zeigt, wie ein russischer Soldat einem Ukrainer mit einem Messer den Kopf abschneidet. Wundern wir uns dann noch, wenn elfjährige Mädchen ein gleichaltriges Mädchen foltern und mit dutzenden Messerstichen töten – nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass sie in ihrem Alter strafunmündig sind?

Wir ertragen all dies nur, weil wir uns abwenden und jede empathische Anwandlung unterdrücken. Anders kann ich mir nicht erklären, dass wir ungerührt Feste feiern. Sowohl die Realität als auch die Medien überfordern unsere Fähigkeit zu einer angemessenen Reaktion. Das war wahrscheinlich immer so, nur dass die globalisierten Medien uns nun statt nur mit dem Grauen aus der Nachbarschaft mit dem Grauen der ganzen Welt bombardieren.

Mit unserer Verständnislosigkeit geht Sprachlosigkeit einher. Man sollte meinen, solch überbordende Krisenfluten sind ein guter Moment für kritisches Denken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es scheint so, als würden wir kritisches Denken durch den Gebrauch von Sprachblasen ersetzen, die statt Wirklichkeitsbezug Phrasen liefern, mit denen wir uns durch die uns überfordernde und überwältigende Informationsflut der globalen Gleichzeitigkeit hangeln.

Nicht nur digitale Medien, sondern alle Medien ersetzen heute die eigenständige kritische Reflexion durch Phrasen, die einer satten Generation das Gefühl von Widerstand und richtigem Handeln in dieser unübersichtlichen Welt suggerieren. Auch ehemals seriöse Medien degenerieren zu Sprachrohren eines abgehobenen realitätsfernen Konsenses, der die Welt und ihre Konflikte mit Schlagworten und apokalyptischen Visionen beschreibt, statt jeden Tag geduldig aufs Neue zu versuchen, sie zu verstehen und sich ein differenziertes Urteil zu bilden. Längst haben sich auf allen Seiten des politischen Spektrums verkürzende und alle Differenzierungen ausmerzende Plattitüden breitgemacht, die den öffentlichen Diskurs bestimmen. Andere Meinungen als die eigene werden je nach Bedarf als rechts oder links, rassistisch oder politisch unkorrekt diffamiert, als würde uns das helfen, unsere Wirklichkeit zu verstehen. Einziger Zweck dieses Journalismus ist Manipulation zugunsten dessen, was man als die eigene Agenda versteht. Nicht nur die digitalen Medien verdrängen das, was einmal möglichst objektiver Journalismus zu sein versuchte, sondern die alten Medien wie Print und Fernsehen sind längst Teil dieser Misere.

Bleibt das Buch, ein ganz altes Medium. Auch Buchverlage sind natürlich längst durchkommerzialisiert und produzieren Bücher, um Gewinn zu machen. Digitalisierung hat das Büchermachen viel niederschwelliger gemacht. Davon profitieren die vielen Selbstverlagsorganisationen, die die gleiche Ware produzieren wie die großen kommerziellen Strukturen. Aber die Digitalisierung ermöglicht auch anspruchsvolle Programme. Sie erneuern immer wieder den Anspruch des Aufklärungsmediums Buch, die Welt differenziert und tiefergehend als der Tages- und Wochenjournalismus zu verstehen. Ihre Arbeit misst sich an den Ansprüchen aufklärerischer Wissenschaft. Wie das aussieht, sehen Sie an unserem Programm. Wir im Passagen Verlag setzen auf das Buch.

 

Peter Engelmann